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09‘22

09‘22 Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR DIE REGION Keiner sollte sich für seine Essstörung schämen. Habt den Mut, es anzugehen! Wiederkehrende Essanfälle, Aufnahme großer Nahrungsmengen in kurzer Zeit, Essen als Reaktion auf belastende Ereignisse – dahinter verbergen sich Anzeichen einer Binge-Eating-Störung. Die Diagnosen von krankhaftem Essverhalten sind während der Corona-Pandemie enorm gestiegen. Seit 2016 haben sich die Fälle von Binge-Eating-Störungen in Rheinland-Pfalz fast verdoppelt. Das zeigt eine Auswertung der IKK Südwest unter ihren Versicherten. Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass mehr Menschen unkontrolliert essen. Sie neigen eher dazu, Nahrungsmittel als Trostpflaster zu verwenden, um so auf die belastenden coronabedingten Lebensumstände wie soziale Isolation reagieren zu können. Auch Petra K.* (42) leidet an einer Essstörung. Vor über 20 Jahren bekam sie die Diagnose Bulimie. Die Krankheit scheint nach relativ kurzer Zeit überwunden, dann schleichen sich die Essanfälle ein. Im Interview spricht sie über ihre Binge-Eating-Erkrankung. Sich selbst einzugestehen, dass man krank ist, ist oft unglaublich schwer – vor allem bei einem so sensiblen Thema wie krankhaftem Essverhalten. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie an einer Essstörung leiden? Meine Essstörung begann mit Anfang 20 nach einer längeren Vorgeschichte: Ich habe mit acht Jahren mit Leistungssport angefangen, der mir einfach alles bedeutet hat. Da ich immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen hatte, hatte ich konstant Druck und Angst davor, meinen geliebten Sport zu verlieren. Mit 19 habe ich dann schweren Herzens mit dem Leistungssport aufgehört, weil ich das nicht mehr aushielt. Kurz danach hatte ich meine Ausbildung beendet, sodass ich auch im Beruflichen keine Leistungsbewertungen mehr hatte, aber ich war ein Mensch, der sich immer über Leistungen definiert hat. Als dann noch Frust auf der Arbeit dazukam, begann ich 50

Gesundheit DAS MAGAZIN FÜR DIE REGION 09‘22 irgendwann heimlich zu essen, um meine negativen Gefühle zu unterdrücken. Ich habe mir in der Mittagspause Unmengen Süßigkeiten gekauft, sie dann heimlich auf dem WC gegessen und danach wieder ausgebrochen. Ich hatte keinen anderen Umgang für mich gefunden, mit den negativen Gefühlen und dem Verlust meines geliebten Leistungssports umzugehen. Wie sieht ein Essanfall konkret aus? Können Sie beschreiben, was dann in Ihnen vorgeht? Ich bekomme Essanfälle meistens, wenn ich sehr gestresst bin und mir keine bewusste Zeit für mich nehmen kann oder wenn mehrere negative Gefühle zusammenkommen. Dann legt sich in meinem Kopf ein Schalter um: Ich verspüre zunächst eine Vorfreude auf die ganzen Süßigkeiten. In 90 Prozent der Fälle greife ich zu Süßem – Schokolade, Kaffeestückchen, Kuchen, Eis und was es sonst noch so gibt. Mittendrin im Essanfall ist es wie ein Rausch, ein Genuss und Auskosten des Geschmacks in vollen Zügen. In dem Moment erfahre ich eine Art Stressabbau. Aber danach fühle ich mich meistens nur noch schlecht und als Versagerin und der Stress ist auch wieder zurück, gepaart mit den ganzen Vorwürfen an mich selbst. Mittlerweile gelingt es mir aber auch mal, milder mit mir ins Gericht zu gehen: Wenn ich einen Essanfall hatte, versuche ich es zu akzeptieren und analysiere später, was dazu geführt hat. Bei der ambulanten Behandlung einer Essstörung befindet man sich in einem geschützten Raum. Was passiert, wenn dieser Schutz wegfällt? Wie gehen Sie im Alltag mit Ihrer Erkrankung um? Die größte Herausforderung ist es, mit negativen Gefühlen umzugehen und diese nicht mit Essen zu kompensieren. Außerdem ist es wichtig, mir Strategien zurechtzulegen. Sobald eine Strategie nicht mehr funktioniert, muss ich eine neue finden. Schwierig wird es bei ungeplanten Ereignissen, da ich dann meine feste Struktur nicht einhalten kann. Man darf nie aufgeben. Jeder Tag kann besser werden als der vorherige, an dem es einen Essanfall gab. Einen gesunden Umgang mit Essen zu lernen, ist ein längerer Prozess. Es erfordert Übung und Training mit den Ursachen umzugehen, die zu der Essstörung geführt haben. Sie sprechen sehr reflektiert über sich und Ihrer Erkrankung. Klingt so als ginge es Ihnen heute besser? Ich bin nicht geheilt und kämpfe immer noch mit meiner Essstörung. Das Thema Essen kreist unentwegt in meinem Kopf. Hin und wieder habe ich auch wieder Essanfälle, aber im Großen und Ganzen gibt es immer längere Phasen, in denen das Essen gut funktioniert und ich keine Essanfälle habe. Was würden Sie anderen empfehlen, die mit Essstörungen zu kämpfen haben? Auf jeden Fall, sich professionelle Hilfe zu suchen. Und dabei ist es wichtig, einen Therapeuten zu finden, der zu einem passt. Jeder sollte es sich selbst wert sein, das Problem anzugehen, damit wir uns auf längere Sicht gesehen, durch unsere Essstörung weniger belastet fühlen. Und keiner sollte sich für seine Essstörung schämen. Habt den Mut, es anzugehen! *Der Name wurde auf Wunsch geändert. Mit der medizinischen Ernährungstherapie der IKK Südwest zu einer langfristig gesunden Ernährung Wir helfen Ihnen, eine Ernährungsweise zu finden, die zu Ihrem Alltag passt. Voraussetzung: die ärztliche Diagnose einer Krankheit, die eine Ernährungsumstellung erfordert wie beispielsweise eine Essstörung (nur begleitend zur Psychotherapie), Adipositas, Diabetes oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Sprechen Sie uns an! Sie erreichen uns an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr unter unserer kostenfreien IKK Gesundheits-Hotline 0800/0 119 000. 51

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